Die ionische Polis Priene bietet ausgezeichnete, aber bislang nicht hinreichend genutzte Voraussetzungen, um die Frage nach Kontinuität und Diskontinuität in der Entwicklung der hellenistischen Polis am Beispiel einer einzelnen Stadt zu überprüfen und zu vertiefen. Die deutschen Ausgrabungen in der Stadt seit 1895 haben eine reiche Ausbeute an hellenistischen Inschriften erbracht haben, von denen insbesondere eine Vielzahl von Ehrendekreten die soziale Strukturen und kulturelle Praktiken in dieser Polis in einer für die hellenistische Zeit seltenen Dichte beleuchten. Dieses reiche Material gehört seit langem zum Kernbestand der für überregional ausgerichtete Untersuchungen herangezogenen Quellen. Es ist jedoch für sozial- und kulturgeschichtliche Fragen noch längst nicht erschöpfend ausgewertet worden, zumal die epigraphische Dokumentation kaum je als ganze in den Blick genommen wird. Gleichzeitig ist der archäologische Befund der hellenistischen Zeit außerordentlich gut erhalten und wird auch aktuell im Rahmen des SPP 1209 intensiv erforscht (Priene im Hellenismus. Interdependenzen urbanistischer Veränderungen im hellenistischen Priene), was exzellente Möglichkeiten zur interdisziplinären Zusammenarbeit eröffnete. Das hellenistische Priene zeigt sich in seiner epigraphischen Überlieferung als vitale Bürgergemeinde mit demokratischer Verfassung. Bei der mittelgroßen Polis handelte es sich um eine aus moderner Sicht kleine Stadt mit vielleicht um die 1000 Bürger, die dennoch in der Lage war, allein im profan-politischen Bereich eine Zahl von wahrscheinlich mehr als 100 öffentlichen Funktionsstellen im jährlichen Wechseln zu besetzen. Daher muss hier die Bereitschaft der Bürger zur politischen Partizipation durchgehend hoch gewesen sein. Dabei blieb die Polis stets auf das besondere Engagement ihrer vermögenden Oberschichten angewiesen, da sie nicht ausreichend staatliche Einnahmen generierten, um aufwendige öffentliche Vorhaben aus eigenen Mitteln finanzieren zu können. Dieser Personenkreis konnte über das Instrument des Euergetismus in den Bürgerverband integriert werden, ohne das demokratische Ideal der politischen Gleichheit zu verletzen. Als Wohltäter der Stadt erhielten die Angehörigen der Eliten eine soziale Prominenz, welche sich aber nicht in einer formalisierten politischen Vorrangstellung niederschlug. Innerhalb dieses Rahmens zeigen sich aber die auch für andere Poleis im späten Hellenismus festgestellten Tendenzen zu einer stärkeren Aristokratisierung der Gesellschaft. Die Ausführlichkeit des Euergetenlobs in den Ehrendekreten wächst, und mit ihr steigen Quantität und Qualität der verliehenen Privilegien. Der informelle Einfluss der Euergeten auf die Politik der Stadt nimmt zu und die Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Bereichen verschwimmen. Aber erst nach den Mithradatischen Kriegen findet sich mit der Aufnahme von Personen mit römischen Hintergrund in die Honoratiorenschicht der Stadt ein Anzeichen für den ganz grundlegenden Wandel hin zur Provinzstadt des Imperium Romanum. |