Interdependenzen urbanistischer Veränderungen im hellenistischen Priene

Die antike Stadt Priene in der heutigen Westtürkei, in Küstennähe etwa 25 km östlich der griechischen Insel Samos gelegen, spielt seit der Ausgrabung durch Th. Wiegand und H. Schrader im späten 19. Jh. eine unverändert wichtige Rolle in der internationalen Bau- und Stadtforschung zur griechisch-römischen Antike, einmal wegen des vergleichsweise guten Erhaltungszustandes einzelner Baudenkmäler, darunter der in der Antike weltberühmte Athenatempel des Pytheos, zum andern wegen der nahezu komplett faßbaren „hippodamischen“ Stadtanlage spätklassisch-hellenistischer Zeit.

Das Forschungsprojekt „Interdependenzen urbanistischer Veränderungen im hellenistischen Priene“ wurde von 2006 bis 2012 innerhalb des Netzwerks „Urbane Infrastruktur der hellenistischen Polis“ des SPP 1209 durchgeführt. Antragsteller und Projektleiter waren zunächst Wolf Koenigs (TU München) und Wulf Raeck (Universität Frankfurt a. M.). 2008 übernahm Frank Rumscheid (Universität Kiel, später Universität Bonn) ein eigenes Teilprojekt.
Das Vorhaben knüpfte an das von 1999 bis 2006 von der DFG geförderte Projekt „Stadtentwicklung, Wohnverhältnisse und Lebensbedingungen im antiken Priene“ an. In beiden Projekten stand das Ziel im Vordergrund, von der Aneinanderreihung chronologisch differierender Bauten und Areale, wie sie als Ergebnis der Grabung des 19. Jhs. vorlag, zur Feststellung von Veränderungsprozessen zu gelangen. Nachdem bis 2006 die Entwicklung einzelner Bereiche über längere Zeiträume hinweg hatte geklärt werden können, ging es nunmehr darum, aus solchen Teilinformationen soweit wie möglich ein Gesamtbild der Stadtentwicklung in der spätklassisch-hellenistischen Zeit zusammenzusetzen. Hierzu wurden gezielt solche Areale für die Untersuchungen ausgewählt, deren Bearbeitung für das Verständnis der Stadtentwicklung insgesamt besondere Aufschlüsse versprach. Diese Areale wurden aus Gründen der terminologischen Übersichtlichkeit in die Bereiche „Öffentlicher und kultischer Raum“ sowie „Privater Raum“ aufgeteilt. Zum Bereich des „Öffentlichen und kultischen Raumes “ wurden das Areal südlich des Buleuterions, das Heiligtum der ägyptischen Götter und die westlich anschließende Insula sowie der Geländestreifen am Hang nördlich der Wohnquartiere gerechnet, mit dem Schwerpunkt auf dem als „Felsheiligtum Ost“ bezeichneten Gelände im Nordosten nahe der Stadtmauer. Unter die Bezeichnung „Privater Raum“ fallen die Wohnviertel westlich der Agora und des Athenaheiligtums zwischen der `Westtorstraße´ im Süden und dem Nordrand der durch die alte Grabung erfassten regelhaften Bebauung. Die Arbeiten zum Bereich „Öffentlicher Raum und kultischer Raum“ fielen unter die Teilprojektleitung W. Raeck, die zum „Privaten Raum“ unter die von F. Rumscheid.
Die im Rahmen des Projekts durchgeführten Untersuchungen waren außer mit dem SPP-Projekt „Soziokultureller Wandel im hellenistischen Priene“ (H.-U. Wiemer – D. Kah) eng verbunden mit nicht durch die DFG geförderten Arbeiten, zu denen enge thematische Berührungspunkte bestanden (U. Mania: Gymnasien; U. Ruppe: Stadtbefestigung).

Skizze der Arbeiten und des Forschungsstandes (April 2012)

Öffentlicher und kultischer Raum
Die Frage nach der Vorgängerbebauung der jüngeren Agoranordhalle (2. H 2. Jh. v. Chr.) in der Insulahälfte südlich von Buleuterion und Prytaneion konnte dahingehend geklärt werden, dass dieses Areal in unmittelbarer Nachbarschaft der Agora bis zur Errichtung der Halle nicht bebaut war.
Die Doppelinsula E 13 /E14 war anscheinend von Beginn an von dem sonst in Priene zur Gründungsphase üblichen Schema der Einteilung in gleich große Insulae und Parzellen ausgenommen. In die erste Phase (wohl 3. Jh. v. Chr.) gehören eine erste Terrassierung der Westterrasse (E 13) sowie die Anlage zweier großer Gebäude in der Art von Prostashäusern mit vorgelagertem Hof und hallenartigem Abschluß südlich davon. Diese Strukturen wurden im frühen 2. Jh. v. Chr. auf die Ostterrasse ausgedehnt. Etwa hundert Jahre später wurden die bis dahin existierenden Niveaunterschiede der Ostterrasse eingeebnet und so die Voraussetzungen für den Bau des Podiumtempels für die ägyptischen Gottheiten geschaffen. Eine Ladenzeile (?) am Südrand der Westterrasse wurde im späten 1. Jh. v. Chr. verfüllt.
In der sowohl privat als kultisch genutzten Zone am Nordrand der Wohngebiet wurde besonders das „Felsheiligtum Ost“ ausführlich untersucht. Die Terrassierung eines felsigen und stark zerklüfteten Geländes in steiler Hanglage trug eine kleinteilige und oft wenig stabile Bebauung, die vielerorts im Zusammenhang mit aus dem Felsen austretendem Wasser stand. Unter den zahlreichen und verschiedenartigen Votiven sind mehrere Kybelestatuetten und Figuren tanzender Mädchen signifikant, ferner eine Gruppe leicht überlebensgroßer Hände aus gebranntem Ton. Die Nutzung des Kultplatzes scheint auf die hellenistische Zeit begrenzt gewesen zu sein.

Privater Raum
Die Ausgrabung des `Lampon-Hauses´ in der Insula D2 am Westrand der Stadt, die bereits vor Beginn des SPP begonnen worden war, wurde abgeschlossen. Aus der Zerstörungsschicht aus dem 3. Viertel des 2. Jhs. konnten zahlreiche Bestandteile des Hausinventars geborgen werden, deren Restaurierung und Bearbeitung noch nicht abgeschlossen sind. Der Befund liefert neben wichtigen Ergebnissen chronologischer und funktionsbezogener Art wertvolle Hinweise auf die Entwicklung der Bebauung im Wohnbereich vom regelhaften Parzellensystem hin zu einer erweiterten und das Grundschema individuell variierenden Anlage.
Der Häusersurvey in den westlichen und nordwestlichen Wohnvierteln verfolgte das Ziel, die recht summarischen Strichpläne aus dem 19. Jh. durch eine detaillierte Bauaufnahme einschließlich der Anlage von Raumbüchern usw. zu ersetzen und so zu einer differenzierten Einschätzung der Planungs- und Umbaumaßnahmen in diesem Bereich zu gelangen. Hierzu liegen schon zahlreiche Einzelergebnisse vor, die u. a. den kreativen Umgang mit dem vorgegebenen Insula- und Parzellenschema in der Anfangsphase sowie eine Vielzahl von baulichen Veränderungen bezeugen. Zu erwähnen sind ferner neue Erkenntnisse zur Nutzung einzelner Bereiche, etwa der Kombination von Wohn- und gewerblicher Funktion.

Literatur: 
Jährliche Berichte der Prienegrabung in den Akten der Grabungssymposien der Generaldirektion für Kulturgüter und Museen: Kazı Sonuçları Toplantısı (Ankara)

Überblicke über bisherige Arbeiten:

  • W. Raeck, Priene. Neue Forschungen an einem alten Grabungsort. Mit Beiträgen von H. Bankel, H. Fahlbusch, A. Hennemeyer, A. von Kienlin, A. Leibhammer, E. Nagel, F. Rumscheid, C. Schneider, Istanbuler Mitteilungen 53, 2003, 313-423
  • W. Raeck, Neue Forschungen zum spätklassischen und hellenistischen Priene, in: E. Schwertheim – E. Winter (Hrsg.), Neue Forschungen zu Ionien (Asia Minor Studien Bd. 54, 2005) 147 – 163
  • W. Raeck, Priene, in: W. Radt (Hrsg.), Stadtgrabungen und Stadtforschungen im westlichen Kleinasien – Geplantes und Erreichtes (Byzas 3, 2006) 315 – 324
    W. Raeck, Urbanistische Veränderung und archäologischer Befund in Priene, in: A. Matthaei – M. Zimmermann (Hrsg.), Stadtbilder im Hellenismus (Berlin 2009) 307 – 321
  • F. Rumscheid, Fragen zur bürgerlich-hellenistischen Wohnkultur in Kleinasien, in: S. Ladstätter – V. Scheibelreiter (Hrsg.), Städtisches Wohnen im östlichen Mittelmeerraum 4. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr. (Wien 2010) 119-143
  • F. Rumscheid, Ursprünglicher Bebauungsplan, Erstbebauung und Veränderungen. Überlegungen zum hellenistischen Stadtbild Prienes als Ergebnis öffentlicher Vorgaben und Interessen, gesellschaftlicher Konventionen und privater Ambitionen, in: A. Matthaei–M.Zimmermann, 3.Band der Publikationsreihe des Schwerpunktprogramms (im Druck)
  • U. Mania, Zur Planungsidee der Stadtanlage Prienes, in: A. Matthaei–M.Zimmermann, 3.Band der Publikationsreihe des Schwerpunktprogramms (im Druck)
  • Ein ausführlicher Abschlußbericht erscheint voraussichtlich 2013 im 4. Band der Publikationsreihe des Schwerpunktprogramms.
  • Aktualisierte Informationen zu den Arbeiten in Priene finden Sie auf den Homepages der an den Ausgrabungen beteiligten Universitäten Frankfurt und Bonn sowie auf der Homepage des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Istanbul.
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