Forschungsprogramm

Im Kern des Schwerpunktprogramms wird es darum gehen, die statischen und dynamischen Elemente innerhalb der hellenistischen Polisgesellschaft auf der Folie der augenfälligen Entwicklung der urbanen Ausstattung zu untersuchen. Verschiedene, schon bestehende Aktivitäten in dieser Richtung, die in ihren Fragestellungen konvergieren, sollen in der ersten Arbeitsphase 2006 bis zum Frühjahr 2008 gebündelt sowie hinsichtlich Zielsetzung und Methoden aufeinander abgestimmt werden. Auf diese Weise wird eine Plattform geschaffen für das weitere Ziel, in einzelnen oder Gruppen ähnlich strukturierter Poleis Institutionen, Stadtanlage und wirtschaftliche Grundlagen als Faktoren ihres historischen Wandels zu verstehen.

Im Bereich der althistorisch-epigraphischen Forschung in der ersten Förderphase bis 2007 wird die Betrachtung im wesentlichen auf die gesellschaftlich formierende und sinnstiftende Kraft von politischen, religiösen und kulturellen Institutionen im Kontext der hellenistischen Polis konzentriert sein. Insbesondere die Entstehung von Sympolitien und die Formierungsprozesse neuer Poleis stehen dabei im Mittelpunkt, wobei neben der institutionellen Ausgestaltung auch die Neu- und Umgestaltung des baulichen Erscheinungsbildes der Städte untersucht werden soll. Hinzu kommen Forschungen zur Polis im Rahmen übergeordneter politischer Ordnungen wie Staatenbünden (Koina), wobei deren Rolle für die Entstehung und Entwicklung von Poleis zu untersuchen ist. In Archäologie und Bauforschung wird das Augenmerk auf die Gestaltung des öffentlichen und privaten Raumes und die Formen der Selbstdarstellung der städtischen Eliten gerichtet. Dabei werden einzelne Bauwerke im urbanen Kontext, aber auch Stadtanlagen in ihrer Gesamtentwicklung in den Blick genommen. Hinzu kommen Forschungen zum ländlichen Raum ausgewählter Poleis.

Im Hintergrund der Forschungen werden das normative Bild des Bürgers sowie die Poleis übergreifenden Integrationskreise der Führungsschicht (Festgesandtschaften, Fremde Richter, Königshof usw.) und die potentiellen Veränderungen, denen sie unterworfen waren, zu stehen haben. Dieser Austausch ist auch auf der Höhe eines spezifischen Zeitphänomens zu betrachten. Die hellenistische Zeit ist nämlich geprägt von einer den lokalen Rahmen sprengenden, äußerst dynamischen Kommunikation, einem Prozeß der ‚Globalisierung‘ in Wirtschaft und Kultur sowie einer erheblichen Migration von Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen. Auf lokaler Ebene sollen – soweit dies bei den jeweils ausgewählten Orten aufgrund der Quellenlage möglich ist – die sozialen, politischen, religiösen und kulturellen Praktiken (Feste, Agone, Ehrungen, Bankette, Reden, Prozesse usw.) und kollektive Vorstellungen in Zusammenhang mit den baulich entsprechenden Einrichtungen als allgemeine Elemente der hellenistischen Kultur erfaßt, beschrieben und analysiert werden, da sie von zentraler Bedeutung für den Zusammenhalt der Polis waren. In ihnen manifestierten sich immer wieder – vor dem Hintergrund entsprechender kultureller Vorstellungen – die Kohärenz der Gemeinschaft und ihre soziale Ordnung. Im Kontext solcher Praktiken, Rituale und Integrationsformen ist ferner nach den objektiven Handlungsspielräumen des Einzelnen und der Gemeinschaft als Ganzer zu fragen. Insbesondere die Orientierung an der tradierten politischen und religiösen Ordnung, die sich an einer konservativen Grundstimmung der Dokumente ablesen läßt, ist einerseits ein wichtiger Hintergrund für die Stabilität der Strukturen, wirft andererseits aber die Frage auf, worin der Wandel im urbanistischen Erscheinungsbild besteht und welche Formen kultureller oder gesellschaftlicher Veränderung er entgegen aller ostentativen Rückbesinnung indiziert und seinerseits erneut fixiert.

Der enge Konnex zwischen Stadtbild und sozio-politischen Strukturen gilt gleichermaßen für eine Reihe gemeinschaftlicher Akte, bei denen gerade der demonstrative Charakter die extrem hohe Bedeutung öffentlicher und sakraler Räume bedingte. Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang z.B. Agorai, Heiligtümer und Theater. Aufschlußreich ist dabei etwa die bislang kaum systematisch durchgeführte vergleichende Beobachtung von Interdependenzen verschiedener städtebaulicher Veränderungen. Hierzu gehört etwa die gewandelte Ausstattung von Agorai als Folge der Auslagerung bestimmter Funktionen (z.B. Markt) oder ganz allgemein die Verwandlung des öffentlichen Raumes in eine Bühne der Selbstdarstellung städtischer Honoratioren und Wohltäter (beispielsweise Priene). Hierbei gewinnt die monumentale Ausprägung der öffentlichen Einrichtungen hohen Symbolwert, wie etwa an den großen, steinernen Bouleuterien, aber auch den Theatern mit ihren Prohedriesitzen abzulesen ist.

Aufschlußreich ist es darüber hinaus zu verfolgen, welche Arten von Siedlungen sich neben geplanten Poliszentren solche ‚Symbolbauten‘ wählten, um ihrer Vorstellung von Urbanität Ausdruck zu verleihen, und damit in Einzelfällen sogar die Voraussetzung schufen, Polisstatus zu erlangen. Dies lenkt den Blick auf die Chora, das zugehörige Territorium der Polis und die hier vorhandenen Unterzentren (z.B. Elaia als Hafen von Pergamon oder Atarneus). Ein weiterer methodischer Ansatz liegt in der Bestimmung der Relation zwischen Stadt und Umland bzw. zu anderen Städten innerhalb der Chora. Aus diesen Bezügen oder auch aus den Urbanisierungsschüben und der Zentralortbildung in einzelnen Landschaften läßt sich bestimmen, welche Elemente in der Zeit des Hellenismus als wesentlich bzw. unumgänglich für Poliszentren erachtet wurden.

Eine günstige Voraussetzung für tragfähige Forschungsergebnisse auf dieser Ebene ist dabei die breite archäologische und epigraphische Materialbasis in den Regionen des östlichen Mittelmeeres. Schon jetzt zeichnet sich ferner ein reiches und vielfältiges Bild ab, das die Flexibilität des Modells Polis belegt (Gründungen wie Lysimacheia, alte einheimische Siedlungen wie Atarneus, Residenzstädte wie Pergamon, neue Städte griechischen Musters wie Lissos u.a.m.). Diese Vielfalt fordert zugleich dazu heraus, die speziellen Formen urbanen Ausbaus in ihrem jeweiligen historischen Kontext zu verstehen. Gerade in Neugründungen spiegelt die Entscheidung für eine besondere architektonische Ausstattung die zeitgenössischen Vorstellungen von der Mindest- oder Idealausstattung eines Poliszentrums. Sie könnten zeigen, welchen institutionellen und städtebaulichen Komponenten in dieser Zeit ein besonderes Gewicht zukam und welche Rolle das Repräsentationsbedürfnis der Bürger bei der Ausgestaltung öffentlicher Räume spielte. Auch die für die hellenistische Zeit belegten und bereits erwähnten Synoikismen und Sympolitien, die ebenfalls ein gewachsenes Interesse an der Etablierung neuer Zentren mit urbaner Ausstattung und Bündelung politisch-administrativer Kompetenzen dokumentieren, sind in diesem Kontext bedeutsam.

Bei der geplanten Beantwortung dieser Detailfragen ist eine enge Abstimmung zwischen den Wissenschaftlern nötig. Um beispielsweise die Neugewichtung des öffentlichen Raumes an anderen Orten zu prüfen, bedarf es ausgewogener Parameter, nach denen unterschiedliche Arten z.B. von sakralen und politischen Räumen voneinander zu unterscheiden sind. Bedeutsam wird ein ständiger Austausch darüber sein, was eigentlich die Erscheinungen miteinander vergleichbar macht und zur verbindlichen Qualität des Modells Polis beitrug.

Zu diesem Zweck werden 2006 und 2007 mehrere Arbeitstreffen und Kolloquien der beteiligten Wissenschaftler stattfinden. Im Dezember 2006 wird auf einem ersten Teilkolloquium die Frage diskutiert, in welchem Umfang archäologische Feldforschungen in der Lage sind, die angeschnittenen Fragen zu beantworten. Dabei wird es um methodische Probleme der Erfassung urbaner Strukturen, ihrer chronologischen Entwicklung sowie um die Interdependenz von Zentralorten und ländlichem Raum gehen. Zu diesem Zweck werden auch Kollegen eingeladen, die nicht unmittelbar im Schwerpunktprogramm arbeiten, aber weiterführende Ergebnisse bei ihren Forschungen erzielt haben.
Das erste Plenarkolloquium im Februar 2007 wird zum Thema „Stadtbilder im Hellenismus“ abgehalten. Es wird dabei zunächst zu zeigen sein, welche Vorstellungen die Zeitgenossen selbst von Städten und städtischen Räumen hatten. Das mit der Ehrung von Personen verbundene Städtelob ist ein wichtiger Gradmesser für den Zusammenhang von Bürgeridentität und Stadtbild. In einem weiteren Schritt soll erörtert werden, wie die Gestaltung des öffentlichen Raumes vorgenommen wurde und wie sie sich wandelte. Dabei sollen Entwicklungen im griechischen Mutterland und im heutigen Albanien mit solchen im westlichen Kleinasien verglichen werden. Nach Möglichkeit werden auch Kollegen, die in anderen Regionen der Mittelmeerwelt vergleichbare Fragestellungen verfolgen, zu dem Kolloquium gebeten.

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